Mühsam ging es den Hügel hinauf, oben angekommen weise Worte eines Bauern: Wald tut Kindern gut!

Da musste ich vom Rad absteigen: 30 Meter ging der Feldweg in Netteberge nach oben. Das war mir zu viel an diesem Sommerferientag, mit Sohnemann hinten auf dem Rad. Ich nahm ihm aus dem Sitz – und er bestand darauf, unbedingt das Fahrrad mit anschieben zu wollen. Nun ist er erst zwei Jahre alt, doch fehlende Kraft machte er mit Wille und Entschlossenheit wett.

Kühe, Bagger und ein Trecker

Wir schoben das Rad mit vereinten Kräften hinauf, vorbei am Schnittpunkt der drei Selmer Ortsteile Selm, Bork und Cappenberg. Gönnten uns kurz einen Schluck Wasser und eine ziemlich geschmacklose Reiswaffel. Bis er die Kühe entdeckte!

So viele Kühe gibt es in Selm schließlich nicht mehr. Im Alltag sind sie fast unsichtbar geworden, zwischen wohnen, arbeiten, einkaufen, spielen etc. . Umso größer die Freude, die Kühe einmal in echt zu sehen. Die ganze Herde kam neugierig an den Zaun. Blicke auf beiden Seiten. Mein Sohn staunte und freute sich über die vielen Kühe und auch die Kühe wirkten erstaunt, mal einen »Minimenschen« zu sehen. Spannend!

Neben der Kuhwiese stand ein verlassenes Haus. Türen und Fenster fehlten, das Dach bereits teilweise abgedeckt. Interessanter war jedoch vielmehr der Bagger vorm Haus (Kinder lieben ja Bagger!), der ein Kabel verlegte.

Wir schoben uns langsam vorbei und danach blieben die Augen riesengroß, denn ein blauer Trecker stand am Feldrand.

Im Bagger saß ein älterer Mann. Der Motor war aus; er schien dort schon eine Weile zu warten. Wir hielten kurz neben dem Trecker an. Bagger sind schon toll, Trecker mindestens genau so. Das Weizenfeld war schon abgeerntet. Offenbar ging es jetzt um den Wiesenstreifen zwischen Feld und Weg, der gemäht werden sollte.

Der Mann im Trecker lehnte sich ein Stück zurück um besser sprechen zu können (der Trecker war hinten offen) und rief mir zu:

Das ist das Beste, was Sie für Ihr Kind machen können!

Ein Selmer Landwirt, der mir namentlich leider nicht bekannt ist

Ich war für einen Moment irritiert. Irritiert, weil er mir überhaupt etwas zu rief und noch viel mehr: was genau meint er denn jetzt? »Ähm…. Sie meinen das Fahrradfahren?« »Ja, dass Sie raus gehen mit dem Kind. Genau. Natur ist so wichtig für Kinder, besonders der Wald!«

Wie recht er hat. Wir unterhielten uns noch einen kurzen Moment; und gingen ein paar wenige Meter weiter zu einer Holzbank, die am Feldweg stand. Unter Bäumen stand sie, dahinter eine kleine abschüssige Lichtung im Sonnenlichte vor dem Walde.

Ich stelle das Rad ab, mein Sohn geht hinter die Bank zu dieser Lichtung und ruft »wie schön!«. Und ist kaum noch aufzuhalten

Ab ins Abenteuer!

Wald tut gut!

Ein Wald ist ein riesiger Spielplatz, auf dem es so viel zu entdecken gibt: Stöcker aufheben, Grashalme umknicken, Blätter durcheinander wirbeln, Vogelstimmen lauschen, Blumen riechen, Steine aufheben (und in den Bach werfen), auf größere Steine hinauf klettern und auf umgefallene Bäume ebenso. Der Wechsel von Licht und Schatten, weicher Laubboden, feste Erde, hier und da mal ein Pilz, aber auch pieksen an Brombeerstrauchstacheln und Brennnesseln. Regenwürmer, Ameisen, Bienen, Hummeln, Schmetterlinge, Eichhörnchen, Spatz und Kuckuck, es wuselt überall, doch nie zu viel.

Es ist nie eine Reizüberflutung. Es blinkt nichts, es gibt keine schrillen Töne, die um Aufmerksamkeit ringen, keine Farbexplosion, nichts braucht einen Akku… stattdessen Vertrautheit und Ruhe, zudem Stimmigkeit in überwiegend grün und braun, mit Vogelgezwitscher. Die Natur ist dem Menschen vertraut, weil er aus ihr kommt. (Und der Wald den Deutschen vermutlich noch einmal besonders).

Der Wald tut gut. Von »Brigitte« über »Spektrum der Wissenschaft« bis zur »Zeit« finden sich quer durch alle Qualitäten Berichte und Studien über den Wald.

Google liefert 31 Mio Ergebnisse zu den Begriffen »Wald gesund«. Für geplagte Großstädter ist youtube voll mit Vogelstimmen, Waldgeräuschen, Bachrauschen und Gewitterregen, der aufs Land nieder geht. Es gibt Waldkindergärten, deren pädagogischer Schwerpunkt in und mit der Natur liegt. In Japan gibt es das sogenannte »Shinrin yoku«, was sich mit »Waldbaden« übersetzen lässt. Der amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau zog sich im 19. Jahrhundert sogar bewusst für zwei Jahre in den Wald zurück (und schrieb ein Buch darüber). Die alten Germanen glaubten an einen »Weltenbaum«, die Esche Yggdrasil, die den gesamten Kosmos verkörpern sollte. Und das weite Teile der Menschheit in Städte leben, ist noch nicht so lange, bezogen auf die Geschichte der Menschheit.

Wir sind immer gerne im Wald. Zu selten, doch wenn, dann mit Freude. Als Kind habe ich direkt am Waldrand gewohnt und schaute von meinem Hochbett in der 2. Etage direkt hinein. Auch die erste Wohnung mit meiner Frau zusammen, ließ uns von Wohn- und Schlafzimmer in den Wald schauen. In unseren Ostseeurlauben gehörte der Waldspaziergang und das Wildschweingehege genau so dazu, wie der Strand und das Meer. Und hier vor der Haustür: Sandforter Forst, Schlosspark Nordkirchen, Tockhausen in Brambauer und die Haardt: immer gerne! Und wenn ich eines Tages nur noch Asche bin… dann diese bitte auch in den Wald!

»Aber nicht der Omma sagen«

Vielleicht hab ich es von meinen Großvätern. Sie waren oft mit mir in den Wäldern rund um Lünen und Bork. Einmal war der Wald am Siebenpfenningsknapp so weiß voller Pollen und Blüten, dass es aussah wie Schnee – mitten im Sommer und ich in kurzen Hosen. Wir sammelten Pilze, schlichen uns einmal verbotenerweise durch den Zaun in die ehemalige MUNA in Alstedde/Bork. Seinerzeit für mich als Achtjährigen spannend, die Betonreste der Bunker, heute zurückblickend nicht nur illegal, sondern vor allem Lebensgefährlich gewesen – und nicht zum nachahmen empfohlen.

Damals liefen wir als Kinder stundenlang durch den Wald, bauten Buden aus Stöckern und Ästen, versuchten Frösche an einem Tümpel zu fangen. Unwissend, dass der so schön bewachsene Tümpel mit den Fröschen im Wald eigentlich ein Bombentrichter aus dem Zweiten Weltkrieg ist. Ohne Handy und oft ohne das jemand wusste, wo wir überhaupt sind. Unbeschwert.

Wenn ich mich an Kindheitsausflüge mit den Großvätern erinnere, dann doch vor allem an die in die Wälder. An eben diese großen Spielplätze der Natur. Ein anderes mal gingen wir vom Waldweg ab, tiefer hinein. Opa nahm Platz auf einem umgeknickten Baum, öffnete seine Umhängetasche und machte sich eine Flasche Ritter-Bier auf. »Aber nicht der Omma sagen«.

Und mein Sohn? Wollte gar nicht mehr aufs Fahrrad zurück. Da hinter dem Baum, da »war auch was. Gucken gehen«!

Ja! Denn der Wald ist besser als jedes kaufbare Spielzeug und jede Serie oder App.