Einsam stand eine alte Frau am Brückengeländer. Sie hielt sich daran mit einer Hand fest und stand mit dem Rücken zum Fluss. Dann sprach Sie mich an…
Ein nasskalter Januartag mit Regen. Ich gehe in meiner Mittagspause dennoch raus, drehe eine Runde um das Lünener Rathaus, der Lippe entlang bis zur Brücke der Kurt-Schumacher-Straße.
Dort, am Brückenaufgang, hält sich eine ältere Frau am Geländer fest. Eine Hand am Geländer, die andere hängt locker herunter, mit Schutzmaske auf, obwohl in diesem Bereich keine Maskenpflicht herrscht. Sie steht mit dem Rücken zum Wasser und blickt auf die vorbeifahrenden Autos auf der Straße. Und sie steht da einfach nur. Zwei andere Frauen, die einige Meter vor mir gehen, drehen sich kurz zu ihr, offenbar hatte sie die beiden angesprochen, doch sie gingen ohne Stopp weiter.
Auf Ende 60, Anfang 70 hätte ich sie geschätzt. Dann sprach sie mich an. Ich verstand aber nur das Wort »Brücke«, für mich quasi Bahnhof – also nichts verstanden. Der Autoverkehr, die Maske, der Regen…. Ich hörte nochmal hin:
»Würden Sie mich über die Brücke begleiten«? Sprach sie zu mir. Ich schaute sie fragend an. Befürchtete schon irgendeinen komischen Trick, der jetzt gleich kommt.
Doch dann sagte sie mir, dass sie bereits 83 Jahre alt sei – und Höhenangst habe! Sie schaffe es nicht, die Brücke zu begehen und die Lippe zu überqueren.
Für einen Moment vergaß ich spontan die Pandemie… und reichte ihr sofort die Hand, wie man es früher eben machte, als der Virus uns nicht einschränkte.
Wir hatten zwar beide Handschuhe an, aber das bedachte ich gar nicht. Ich wollte ihr helfen – und sie lehnte überraschen ab!
Sie brauche keine Hand, sagte sie, doch es würde ihr unheimlich helfen, wenn ich einfach nur neben ihr hergehe. Mit ausreichend Abstand, aber eben in der Nähe.
Wir gingen los. Langsam, aber bedacht. Sie erzählte, dass ihr das vor ein paar Wochen hier erstmals passiert sei, sie verstehe nicht warum. Auf der anderen Brücke (in der Fußgängerzone) habe sie kein Problem, weil sie dort eben auf der Straßenmitte gehen könne und den Fluss gar nicht sehe. Aber hier, der schmale Fußweg, links die Autos, rechts das Wasser….und die beiden Damen vor mir, die hätten gar nicht zugehört und wären einfach weiter gegangen.
Gut 100 Meter gingen wir gemeinsam über die Brücke.
»Ab hier kann ich wieder alleine, vielen Dank!« Sie freute sich über meine Hilfe und zog jetzt flotten Schrittes davon.
Ich freute mich auch, dass ich ihr helfen konnte. Es bleiben dennoch die Gedanken, was gewesen wäre, wenn ich auch weiter gegangen wäre. Hätte Sie einen anderen Weg genommen? Wäre sie doch irgendwann gegangen? Und warum hab ich erst einmal eine Falle vermutet? Weil die Welt leider manchmal schlecht ist.
Wie auch immer: ich reichte ihr letztlich die Hand und half ihr in dieser Situation – weil die Welt manchmal auch gut ist. Oder so gut, wie wir, Sie und ich, sie machen!
Nur das Alter schätzen sollte ich nochmal üben 😉
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